Behinderte und ihre Rechte
Stärker, schwächer - anders?
Welche Rechte haben behinderte Menschen und wie finden sie schnell die richtigen Anlaufstellen?
Für jeden zwölften Bundesbürger sind das wichtige Fragen, denn so viele sind offiziell
schwerbehindert. Nach Angaben des Statistischen Bundesamts hatten die Versorgungsämter zum
Jahresende 2003 rund 6,6 Millionen Menschen in Deutschland eine Behinderung von 50 Grad und
mehr zuerkannt. Für 2004 liegen noch keine aktuellen Zahlen vor.
Schwerbehinderungen werden vor allem bei älteren Menschen festgestellt. Über die Hälfte der
schwerbehinderten Menschen sind nach Angaben des Statistischen Bundesamtes 65 Jahre und
älter. Ein weiteres Viertel gehört der Altersgruppe zwischen 55 und 65 Jahren an. Nur 2,5 Prozent der
Schwertbehinderten sind Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren. In den weitaus meisten Fällen ( 86
Prozent ) wurde die Behinderung durch eine Krankheit verursacht, 4,5 Prozent der Behinderungen
waren angeboren und 2,5 Prozent auf einen Unfall zurückzuführen.
Ausweis & Auskunft
Offiziell als behindert anerkannte Menschen haben spezielle Rechte. Die meisten Sonderrechte
setzen einen Grad der Behinderung von wenigstens 50 voraus (Schwerbehinderung),
siehe Paragraph 2 des Neunten Sozialgesetzbuchs (SGB IX): "Menschen sind behindert, wenn ihre
körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit
länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht und daher ihre
Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft beeinträchtigt ist".
Behindertenausweis
Ob eine Behinderung vorliegt und welcher Grad, stellt das Versorgungsamt fest. Dort muss der
Betroffene einen Behindertenausweis beantragen. Wo sich das örtliche Versorgungsamt befindet,
kann man zum Beispiel bei einer kommunalen Behörde erfragen, insbesondere bei den Sozialämtern.
"Das Versorgungsamt schickt dem Antragsteller einen sehr ausführlichen Fragebogen zu. Diesen
sollte man äußerst sorgfältig und umfassend ausfüllen. Das ist sehr wichtig, weil häufig nach
Aktenlage entscheiden wird, und je mehr in den Unterlagen steht, desto mehr kann letztendlich
berücksichtigt werden. Das Versorgungsamt befragt auch die Ärzte, die man in diesem Fragenbogen
von der Schweigepflicht befreit hat. Aufgrund der gesammelten Informationen entscheidet das Amt,
ob ein Schwerbehindertenausweis erteilt werden kann oder nicht, ob also ein Grad der Behinderung
von mindestens 50 Prozent vorliegt." Nach der Erfahrung des Juristen ist die Bearbeitungsdauer von
Versorgungsamt zu Versorgungsamt sehr unterschiedlich - drei Monate sollte man allerdings
einkalkulieren.
Wozu braucht man einen Behindertenausweis?
Mit dem Behindertenausweis eröffnen sich viele Möglichkeiten. Zahlreiche Leistungen lassen sich
nur mit ihm beantragen. So genannte Nachteilausgleiche, das sind Hilfen für behinderte Menschen
zum Ausgleich behinderungsbedingter Nachteile oder Mehraufwendungen, finden sich nicht nur im
Schwerbehindertenrecht, sondern sind fast über alle Rechtsgebiete verstreut. Doch nicht nur der
Staat berücksichtigt den Behindertenausweis, sondern manchmal auch die freie Wirtschaft.
• Freibeträge im Bereich der Einkommens- und Lohnsteuer. Hier können bestimmte
Abzugsbeträge geltend gemacht werden
• Befreiung von der Hundesteuer, wenn ein sehbehinderter Mensch auf den Schutz eines
Hundes angewiesen ist
• Prüfungserleichterungen in Ausbildung und Studium, zum Beispiel eine Verlängerung der
Prüfungszeit bei schriftlichen Prüfungen, größere Schriftbilder und die Einschaltung eines
(Gebärden-)Dolmetschers
• Berücksichtigung von Kinderbetreuungskosten als außergewöhnliche Belastung im Sinne des
Steuerrechts
• Abzugsbeträge für die Kraftfahrzeugsbenutzung zwischen Wohnung und Arbeitsstelle des
behinderten Menschen
• Kraftfahrzeugssteuerermäßigung
• Automobilclubs gewähren Ermäßigungen beim Beitrag
• manche Versicherungen räumen Behinderten Sondertarife bei der Kraftfahrzeugversicherung ein
• unentgeltliche Beförderungen in öffentlichen Verkehrsmitteln, insbesondere für Rollstuhlfahrer
• spezielle Parkplätze und Parkerleichterungen in öffentlichen Parkräumen
• zusätzliche Freibeträge zum Wohngeld
• spezielle Wohnungsbauförderungen
• eine günstigere Rechtsstellung bei Wohnungskündigung, weil die Kündigung einer Wohnung für
einen schwerbehinderten Menschen häufig als besondere Härte gewertet wird, die die Kündigung
erschweren kann
• besonderer Kündigungsschutz im Beruf
• Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht
• Sozialtarife bei der Deutschen Telekom
Zu beachten ist, dass diese Nachteilsausgleiche nicht allen behinderten Menschen gleichermaßen
zustehen, sondern abhängig vom Grad der Behinderung und dem Merkzeichen sind.
Zentraler Anlaufpunkt
Häufig ist nicht bekannt, welcher Antrag bei welcher Behörde zu stellen ist, denn für die Belange von
Behinderten kommen im Einzelfall viele Anlaufstellen in Frage, zum Beispiel die gesetzliche
Unfallversicherung, die Versorgungsverwaltung, die gesetzliche Rentenversicherung, die
Krankenkasse, die Bundesagentur für Arbeit, die Integrationsämter, die Träger öffentlicher
Jugendhilfe oder die Sozialhilfeträger.
Gemeinsame Servicestelle
Um das Zuständigkeitsdickicht zu lichten, hat der Gesetzgeber im Juni 2001 mit dem Neunten
Sozialgesetzbuch, kurz SGB IX, die so genannten gemeinsamen Servicestellen geschaffen.
Ihre Aufgaben:
• behinderte Menschen über die möglichen Leistungen und ihre Voraussetzungen zu
informieren
• klären, welcher Leistungsträger im konkreten Fall zuständig ist
• Hilfe leisten, um Anträge klar und deutlich zu stellen und diese Anträge dann auch an die
zuständigen Stellen weiterzuleiten
• also die zentrale Anlaufstelle für die behinderten Menschen sein.
Schwierige Umsetzung
Theoretisch eine tolle Idee, doch in der Praxis hapert es vielfach noch, bedauern Rechtsexperten:
"Leider sind die gemeinsamen Servicestellen noch nicht in dem Umfang eingerichtet, wie es
erforderlich wäre. Es gibt einige Bundesländer zum Beispiel Baden-Württemberg, in denen es mit
den gemeinsamen Servicestellen sehr gut funktioniert; bei den anderen ist das weniger der Fall.
Bayern ist sicherlich nicht federführend. Das liegt zum einen daran, dass hier noch nicht genügend
Servicestellen vorhanden sind. Außerdem suchen die Menschen aufgrund anfänglich schlechter
Erfahrungen die Servicestellen nicht mehr auf. Meine Empfehlung ist dennoch, sich auch weiterhin
an die Servicestellen zu wenden und diese einzufordern, denn die Idee einer zentralen Anlaufstelle
ist grundsätzlich vernünftig und gut."
Informationen über die Servicestellen
Nach Angaben des Bayerischen Sozialministeriums wurden im Freistaat bislang 73 Servicestellen
eröffnet. In München und Nürnberg gibt es mehrere Servicestellen in unterschiedlicher Trägerschaft.
Wo sich die nächste Servicestelle befindet, kann man bei den kommunalen Behörden, also bei der
Stadt oder Gemeinde erfragen.
Soziales Netz
Um den Alltag trotz der Einschränkungen meistern zu können, sind viele behinderte Menschen
auf Hilfsmittel angewiesen. Doch durch die jüngsten Reformen im Gesundheitswesen ist es für sie
schwieriger geworden, sich mit diesen Gerätschaften zu versorgen. Grundsätzlich ist es zwar nach
wie vor so, dass gesetzlich Krankenversicherte einen Anspruch auf Hilfsmittel haben, wenn diese
erforderlich sind, um den Erfolg einer Krankenbehandlung zu sichern. Die Organisationen
behinderter Menschen registrieren jedoch deutliche Leistungseinschränkungen
Streit um Hilfsmittel
Hilfsmittel sind Gegenstände, die erforderlich sind, um den Erfolg einer Krankenbehandlung zu
sichern oder eine Behinderung auszugleichen, zum Beispiel Rollstühle und Blattwendegeräte. Aber:
Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens zählen grundsätzlich nicht dazu. Weil die Abgrenzung
schwierig ist, gibt es leicht Streit darüber, für welche Hilfsmittel die Krankenversicherung
aufkommen muss. Als Faustregel gilt: Die Kasse schuldet nur die Versorgung mit Hilfsmitteln, die
auf die Behinderung selbst ausgerichtet sind und fehlende Körperteile oder deren Funktion ersetzen.
"Die Frage ist nicht nur ob, sondern auch wie ein Hilfsmittel gewährt wird. Früher war es so, dass ein
Behinderter in das Sanitätshaus seiner Wahl ging, um sich einen Rollstuhl anpassen zu lassen.
Heute schränken die gesetzlichen Krankenkassen diese Wahlfreiheit teilweise erheblich ein."
Problem: falsche Hilfsmittel
Vor kurzem hat sich eine ältere Dame an die Bundesarbeitsgemeinschaft Hilfe für Behinderte
gewandt. Sie kommt aus Hannover und hatte sich in einem dort ansässigen Sanitätshaus Gehhilfen
anpassen lassen. Ihre zuständige Krankenkasse mit Sitz in Stuttgart hat die Kostenübernahme
verweigert und der Dame stattdessen Gehhilfen aus Stuttgart zukommen lassen. Diese waren aber
nicht an die individuelle Situation der Dame angepasst. Die Frau bekam also ein Hilfsmittel, mit dem
sie nichts anfangen konnte.
Einem anderen Behinderten wurde von seiner Krankenkasse ein Rollstuhl zugeschickt, ohne zu
überprüfen, ob das Hilfsmittel überhaupt geeignet war. Der betroffene Rollstuhlfahrer konnte
aufgrund seiner persönlichen Verfassung nicht einmal an den Greifring seines neuen Rollstuhls
fassen - er konnte sich mit diesem Hilfsmittel gar nicht fortbewegen.
Beispiel: Sehhilfen
Rechtsexperten kritisieren zudem, dass nicht mehr alle sehbehinderten Menschen mit den gleichen
geeigneten Sehhilfen ausgestattet werden. "Menschen mit sehr geringer Sehfähigkeit, die auf Brillen
mit erheblicher Stärke angewiesen sind, bekommen nicht mehr die leichteren Kunststoffgläser,
sondern müssen auf Glas zurückgreifen. Denn Kunststoffgläser vergeben die Kassen nur noch an
Personen, die zum Beispiel sturzgefährdet sind, bei denen also die Gefahr besteht, dass sie sich bei
einem Sturz verletzen, wenn die Gläser brechen."
Recherche und Rechtsmittel
Wird der Antrag auf ein Hilfsmittel oder eine andere Sozialleistung abgelehnt, kann der Behinderte
gegen diesen ablehnenden Bescheid zunächst einmal Widerspruch einlegen. Sinnvoll ist es häufig,
noch vorher mit dem jeweiligen Sachbearbeiter ein klärendes Gespräch zu führen. Um die
Entscheidung des Sachbearbeiters hinterfragen zu können, kann man Einsicht in die das Verfahren
betreffenden Akten der entscheidenden Behörde oder des Sozialleistungsträgers nehmen. Wer dies
nicht alleine tun möchte, kann sich an eine Behindertenorganisation wenden und um Unterstützung
bei seiner Recherche bitten. Neben dem Weg zum gebührenpflichtigen Anwalt, steht auch der Weg
zum Sozialgericht offen. Dort kann man auch ohne Anwalt klagen.
Kompetente Vertretung ist erlaubt
Seit der Änderung des Sozialgerichtsgesetzes im Januar 2002 gibt es die Möglichkeit, sich durch
fachkundige Vertreter der Organisationen behinderter Menschen - gegebenenfalls auch vor Gericht -
vertreten zu lassen. Das Bundesministerium für Justiz plant derzeit das bisherige
Rechtsberatungsgesetz durch ein "Rechtsdienstleistungsgesetz" zu ersetzen.
Der Entwurf sieht neben einer Neuregelung der außergerichtlichen Rechtsberatung vor allem eine
Erweiterung der Rechtsberatungsbefugnis außerhalb der Anwaltschaft vor und weitet damit die
bisherigen Beratungsmöglichkeiten noch einmal deutlich aus. Wer nicht genügend Einkommen oder
Vermögen besitzt, kann Prozesskostenhilfe in Anspruch nehmen. Auskunft darüber erhält man bei
Gericht, aber auch bei den beratenden Behindertenselbsthilfeorganisationen. (Siehe Links &
Adressen )
Beispiel: Taxifahrten
Die Taxifahrten zu einer ambulanten Krankenbehandlung werden nur noch in bestimmten
Ausnahmefällen von der Kasse bezahlt: Die Fahrt muss medizinisch zwingend notwendig, das
Ausweichen auf öffentliche Verkehrsmittel unzumutbar und die Taxifahrten vorab von der
Krankenkasse genehmigt worden sind. Nur für Dialysepatienten und andere schwerst chronisch
Kranke gibt es Ausnahmen. Im Alltag führt das zu Härtefällen, "Wenn ein behinderter Mensch
kurzfristig zu einer ambulanten Behandlung muss, wird er dies tun, ohne sich vorher die notwendige
Taxifahrt bei seiner Krankenkasse genehmigen zu lassen. Dann aber muss er in der Regel selbst für
die Kosten aufkommen."
Behinderte in der Arbeitswelt
Die Eingliederung behinderter Menschen in das Arbeitsleben scheitert oft an Kleinigkeiten: Es fehlt
eine Rampe für Rollstuhlfahrer; die Bürostühle sind nicht geeignet; das normale Telefon ist schwer
zu bedienen. Das Gesetz bietet behinderten Menschen zahlreiche Möglichkeiten, entsprechende
Arbeitshilfen zu beantragen. Seit Juni 2001 gibt es zudem die Möglichkeit, mithilfe eines
persönlichen Arbeitsassistenten dem sonst nicht ausübbaren Beruf nachzugehen. Doch in der
Praxis gestaltet sich das oft sehr schwierig.
Arbeitsassistenz - neue Chancen für Behinderte
Rechtlicher Rahmen
Nach § 102 des Neunten Sozialgesetzbuchs kann ein Behinderter einen Assistenten erhalten, wenn die
Unterstützung im Betrieb (etwa durch Kollegen) nicht ausreicht, um die geförderte und erforderliche
Arbeitsleistung zu erbringen. Grundsätzlich kann ein Arbeitsassistent fast jede erdenkliche Hilfestellung
leisten, allerdings muss die Unterstützung am Arbeitsplatz stattfinden. Außerdem darf der Assistent die Arbeit
des Behinderten nur unterstützen, nicht ersetzen. Über die Arbeitsassistenz informieren die Integrationsämter
(auch unter dem alten Namen Hauptfürsorgestellen bekannt). Die Adressen der Integrationsämter erfährt
man über die Sozialämter und über die gemeinsamen Servicestellen. „Soziales Netz“
Bisherige Erfahrungen:
Obwohl seit Juni 2001 die Möglichkeit der Arbeitsassistenz besteht, haben bislang nur wenige
tausend Behinderte von dieser Regelung Gebrauch gemacht, Vor allem sehbehinderte und blinde
Menschen haben bisher einen Arbeitsassistenten zum Beispiel als Vorlesekraft eingestellt, aber auch,
um sicher zur Arbeit zu kommen.
Probleme:
Ob das Integrationsamt, eine Versicherung oder eine sonstige Behörde die Kosten dieser
Maßnahmen zu tragen hat, muss in jedem Fall einzeln geprüft werden. Es hängt unter anderem davon
ab, wie es zu der Behinderung gekommen ist, also ob sie von Geburt an besteht oder durch Unfall
oder Krankheit bedingt ist. Auskunft, welche Stelle zuständig ist, können und müssen die
gemeinsamen Servicestellen ebenso wie die jeweils zuständigen Leistungsträger geben.
Besonderer Kündigungsschutz für Behinderte
Der Arbeitgeber muss das Integrationsamt um Zustimmung bitten, bevor er die Kündigung
ausspricht. Das gilt unabhängig davon, ob es sich um eine ordentliche oder außerordentliche
Kündigung handelt, also warum sich das Unternehmen von dem Arbeitnehmer trennen will. Sobald
das Integrationsamt eingeschaltet ist, ermittelt es den Sachverhalt. Dazu soll es auch den
behinderten Arbeitnehmer, den Betriebs- oder Personalrat und gegebenenfalls auch das Arbeitsamt
anhören.
Anschließend versucht das Integrationsamt nochmals mit dem Arbeitgeber eine gütliche Einigung zu
erreichen; dabei ist das Ziel, den Arbeitsplatz zu erhalten. Das Integrationsamt kann dazu auch
besondere Dienste wie etwa Arbeits- und Fachmediziner oder den sozialpsychologischen Dienst
hinzuziehen. Wenn es trotz der Beratung nicht zu einer Einigung kommt, entscheidet das
Integrationsamt, ob es der Kündigungserklärung des Arbeitgebers zustimmt oder nicht.
Wenn nicht, kann sich der Arbeitgeber über diese Entscheidung nicht einfach hinwegsetzen. Will er
dem Arbeitnehmer dennoch kündigen, muss er die Zustimmung des Integrationsamtes beim
Verwaltungsgericht einklagen

hier gefunden
http://www.klensby.de/pdf/behinert.pdf